Im grünen Wasser des Teiches fließen die Spuren von fünfzig Jahren Bergbau zusammen. Professor Hermann-Josef Wagner lässt durch seine Sonnenbrille den Blick über die Wassermassen schweifen, die aus 500 Metern unter der Erde in die Bochumer Werner Teiche sprudeln. Leicht gebeugt, die Hände in den Rücken gelegt, steht der 71-Jährige vor dem Gitterzaun und genießt das Plätschern. Das beruhige ihn, sagt er. Dabei war es dieses Wasser, das ihn in den vergangenen mehr als vier Jahren seines Lebens oft stresste, manchmal fast verzweifeln ließ und zuletzt bitter enttäuschte, wie er sagt. Genau genommen nicht das Wasser selbst, sondern die Umstände drum herum. Es handelt sich um Grubenwasser. Professor Wagner wollte damit Häuser, Lagerhallen und Industriegebiete heizen. Das war sein letztes großes Projekt, ein kleiner Schritt in die energetische Zukunft – doch die Vergangenheit sollte hartnäckiger sein, als Wagner anfangs dachte.
Der Ursprung dieses Grubenwassers und damit auch Wagners Projekt sind eng mit der Geschichte des Ruhrgebiets verbunden. Mehr als zwei Jahre ist es nun her, dass in der Stadt Bottrop die letzte Zeche im Revier geschlossen wurde. Die Ära der Steinkohle ging damit zu Ende. Der Industriezweig, der die Region seit der Industrialisierung dominiert hatte wie keine andere der Republik. In der Bergbau-Blütezeit der Nachkriegsjahre malochten rund 600.000 Kumpel und andere Mitarbeiter in den Zechen, zuletzt waren noch rund 3.000 Menschen im Bergbau beschäftigt. Seit dem Ausstieg aus der Steinkohle sucht das Ruhrgebiet nach seinem Platz in der neuen Wirtschaftsordnung.
Was von den goldenen Kohlejahren neben der Bergmanns-Romantik übriggeblieben ist, sind die Stollen, die Schächte – und eben auch das Grubenwasser. Es ist Regen- und Grundwasser, das die unterirdischen Hohlräume unter Tage füllt, die der Bergbau hinterlassen hat. Um die Verwaltung kümmert sich die ehemalige Ruhrkohle AG, die sich mittlerweile nur noch RAG nennt. Sie selbst war viele Jahre als Dachgesellschaft im Steinkohleabbau tätig. Mittlerweile pumpt sie mit teils 12 Meter langen und 20 Tonnen schweren Hochleistungspumpen das salzige Grubenwasser aus den Tiefen, damit es nicht das Grundwasser versalzt. 70 Millionen Kubikmeter jährlich; das ist in etwa die Menge, die durchschnittlich rund 235.000 Bundesbürger in einem Jahr verbrauchen.
„Wir wissen, dass es geht“
Doch im Grubenwasser steckt auch ungenutztes Potenzial: geothermische Energie. 150.000 Haushalte könnten potentiell damit versorgt werden. Das hatte zumindest das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Hermann-Josef Wagner, der Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, sollte für dieses Projekt herausfinden, wie viel von der Wärme tatsächlich nutzbar ist. Er sollte feststellen, wie sich das Erbe der Steinkohle nutzen lässt, um zukünftig Energie zu erzeugen.
Hermann-Josef Wagner sitzt in einem Konferenzraum der Uni Bochum. Über Jahre habe er intensiv an dem Thema gearbeitet, Antrag um Antrag geschrieben, um Fördergelder zu bekommen, erzählt er. Er hat ganze Stapel von Papier mitgebracht, in denen das Projekt beschrieben wird. Wagner und sein Team fanden heraus, dass es an drei Standorten im Ruhrgebiet möglich sei, mit Grubenwasser zu heizen. Bei der Umsetzung stieß er jedoch auf Skepsis, vor allem bei Ingenieuren, die Projektpartner berieten. „Es ist unglaublich schwer, in Deutschland neue Ideen zu verwirklichen“, sagt er.
Er selbst sei davon überzeugt, dass sich Grubenwasser als Alternative zu fossilen Wärmeträgern eigne. „Es hat einen Vorteil, man hat die Wärme das ganze Jahr über“, sagt er. Die natürliche Erdwärme heizt das Grubenwasser auf, ständig. Bei Wind- und Sonnenenergie ist das anders. Sie sind abhängig von Tages- und Jahreszeit sowie dem Wetter. Das Grubenwasser kommt ganzjährig mit einer Wärme von 20 bis 30 Grad aus der Erde. Zum Heizen von Neubauten braucht es allerdings 35 Grad – spezielle Wärmepumpen würden das Grubenwasser dann auf die gewünschte Temperatur erhöhen. Diese benötigen allerdings Strom. Also wirklich alles so umweltfreundlich? „Wenn der Strom aus regenerativen Energien kommt, dann schon“, sagt Wagner.
Christian Melchers, Professor für Geoingenieurwesen und Nachbergbau an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum, formuliert es etwas vorsichtiger. Er weist auch auf die technischen Herausforderungen der Wärmegewinnung hin: „Die hohen Salzgehalte wirken sich mitunter schädlich auf Rohrleitungen und Wärmetauscher aus. Das ist ein Problem.“ Melchers selbst hat sich viele Jahre mit Grubenwasser beschäftigt. Doch auch er spricht von der Chance, mit dem Grubenwasser Gebäude zu beheizen: „Es ist vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels ein lohnendes Projekt.“
Bereits drei Gebäude in Bochum, die Hauptfeuerwache und zwei Schulen, werden zu Teilen mit Wärme des Wassers aus der Grube beheizt. Es wurde im Jahr 2012 als Pilotprojekt der Stadtwerke Bochum und der RAG gestartet. Die RAG selbst sieht grundsätzlich auch noch weiteres Potenzial, teilt ein Sprecher mit. Er verweist jedoch auf eine Hürde: „Es muss ein Projektpartner den Anschluss an das Wärmenetz übernehmen und die technische Infrastruktur bereitstellen.“
„Das passt momentan gar nicht ins politische Bild“
Das ist auch der Punkt, an dem Wagners Projekt an seine Grenzen gestoßen ist. Der 71-Jährige ist noch einmal zu dem Ort gefahren, an dem sein Projekt scheiterte. Das Gelände der ehemaligen Zeche Robert Müser in Bochum/Werne. Hinter einem Gitterzaun ragen die grünen Metallgerüste des rund 57 Meter hohen Förderturms hervor, um den ein weiteres Gerüst gebaut wurde, das den Turm stabilisiert. Denn darunter befinden sich die Leitungssysteme und Pumpanlagen – das ursprüngliche Gerüst hätte der Last nicht standgehalten. Aus einer Tiefe von mehr als 500 Metern wird das Grubenwasser abgepumpt, das später in die Werner Teiche und dann über einen Bach in die Ruhr geleitet wird. Mit diesem Wasser hätte Wagner gerne eine Lagerhalle und Teile eines neuen Industriegebiets beheizt. „Das wäre ideal gewesen“, sagt er. Anfang des Jahres seien dann ganz kurzfristig zwei Investoren abgesprungen. „Einer der beiden eine Woche bevor der Förderantrag zugestellt worden wäre“, sagt Wagner. Er schaut noch einmal durch die Stäbe eines Bauzauns hindurch, dahinter liegt ein riesiges, leeres Feld mit glatt gewalzter Erde ganz nahe am Förderturm. Es fahren Bagger und Walzen umher. „Es tut schon weh, man muss nicht lügen“, sagt Wagner. Hinter dem Zaun entsteht gerade das neue Industriegebiet, das er beheizen wollte.
„Dass die Industrie entschieden hat, keine Wärme aus Grubenwasser zu nehmen, sondern Erdgas beziehungsweise Fernwärme, das kam für uns alle sehr überraschend“, erinnert er sich. Für ihn sei das ein komplett falsches Signal: „Das passt momentan gar nicht ins politische Bild. Wo man sagt, wir müssen ganz von CO2 weg – und es passiert das genaue Gegenteil.“
Das Projekt, sein Projekt, ist für Wagner erstmal vorbei. Doch umsonst waren seine Forschungen und die seines Teams nicht. Vor allem in dem Städtchen Bergkamen nördlich von Dortmund stehen die Chancen weiterhin gut. Auf einem ehemaligen Bergwerksgelände soll schon bald ein schickes, neues Wohnquartier entstehen: die Wasserstadt Aden. Rund 100 Wohnhäuser sollen hier zumindest zu Teilen mit Wärme aus den Gruben versorgt werden. „Ich bin mir sicher, Bergkamen wird kommen“, sagt Wagner. Nur ob er das noch aktiv als Professor miterleben wird, ist nicht klar. Wagner geht bald in den Ruhestand.